Von der eigenen Kraft etwas abgeben
Rezension von Peter Hoffmann
Wohl jeder Mensch trägt etwas mit sich herum, das ihn quält, ihm Angst einflößt, an seinem Selbstwertgefühl nagt. Und er hütet diese Dinge oft als Geheimnisse, von denen er meint, dass sie ihn von Menschen neben sich unterscheiden. In seinen Augen sind diese anderen Leute stark, glücklich und weit entfernt von dem, was das eigene Leben oft grau und trist macht.
Dann schlägt der Leser das Buch "Flüstern und Schreien" von Petra Taubert auf und spürt, dass manches von ihm gehütete Geheimnis gar keines ist.
In Gedichten, die manchmal wie Prosasätze anmuten, erreicht ihn eine Botschaft, die sinngemäß sagt: "Sei beruhigt, du bist nicht allein. Anderen geht es auch so oder ähnlich. Und die meistern das."
Petra Taubert streckt dem Leser die Hand entgegen. Sie verschweigt ihre psychische Erkrankung nicht und auch nicht die Alkoholexzesse, welche sie in ein tiefes Jammertal hinabgleiten ließen: "Dem beschmutzten Körper und der verletzten Seele wollte ich entfliehen". Und sie vermittelt gleich eine eigene Erfahrung, wenn es um die Bewältigung scheinbar unlösbarer Probleme geht: Hilfe von außen annehmen.
Auch wenn die Autorin in dem Gedicht "Glücksfrau" von sich sagt: "... und ich bin die schnelle Schreiberin mit der Hand", so wird dem Leser doch schon nach wenigen Seiten bewusst, dass diesem scheinbar leichten Schreibprozess ein schmerzhafter Prozess der Selbsterkenntnis vorausgegangen ist.
"Ich kann nicht anders/ich will/mich nicht schonen", offenbart sie einen Hintergrund ihrer Schreibmotivation und sie verrät mit Zeilen wie: "Mein Antrieb sinkt auf Null,/Selbstmordgedanken beißen sich fest./Wie viele Tabletten muss ich nehmen?", dass es im Leben eines Menschen Punkte geben kann, von denen aus es nicht tiefer hinabgehen kann.
Das Gedicht "Angst", "Angst unter vielen Menschen,/Angst allein zu sein/Angst nicht schreien zu können,/Angst ungehört zu schrei’n ..." ist einer der dichtesten und emotional bewegendsten Texte des Büchleins.
Am Ende einer miterlebten schmerzhaften Entwicklung stehen für den Leser nachvollziehbare Erkenntnisse Tauberts: "Lernen mich anzunehmen, wie ich bin", "Selbst Erfolge können uns nicht angreifen".
Die Autorin versinkt nicht in Katzenjammer und Wehgefühl: In dem Gedicht "Kleiner Prinz" blickt sie wissend auch auf die eigene Kindheit zurück: "Noch spricht dein Mund alles aus.", ein Text voller Zärtlichkeit und Optimismus.
Die im Buch anzutreffenden Haikus sind dann am gelungensten, wenn sie sich an das klassische Versmaß halten: "Mein suchender Blick/fällt auf die Feder im Gras/mir wachsen Flügel."
Petra Taubert entlässt den Leser mit einem ganz eigenen Lebensrezept: Sie findet Ruhe und Schutz im Glauben. Der Text "Du bist das Licht der Welt" vermittelt dem Leser die Gewissheit, dass hier jemand einen ganz persönlichen Weg gefunden hat, trotz innerer Ängste und Unsicherheiten ein Leben zu führen, das es sogar erlaubt, anderen von der eigenen Kraft abzugeben.
Das Buch erschien unter ISBN 978-3-942401-95-1