Bei der allerersten Auszeichnung, die ich als werdende Schriftstellerin erhalten sollte, saß sie neben mir: eine reizende, warmherzige und verschmitzte Dame, mit der ich ins Gespräch kam. Wir flüsterten einander zu, während auf der Bühne die Preise vergeben wurden und ich immer unruhiger wurde, ob mein Name noch genannt würde. Über das Schreiben redeten wir. Und ich war beglückt über das Literaturverständnis, das uns einte, über die Ruhe, die meine ältere Sitznachbarin ausstrahlte, über ihr Dasein.
Nur wenig überraschte mich, dass meine Gesprächspartnerin sich später selbst als Schreibende entpuppte. Marga Ruth Mead, mit dem wunderbaren Künstler- und Spitznamen: Marume.
Seither haben wir uns nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich bewundere ihre Kraft, ihren Schreibwillen, ihr Gespür für das Aufzuschreibende. Und ihre Disziplin, sich immer wieder mit Erlebtem und Erfundenem zu konfrontieren, sich immer wieder aufzumachen in die Welt der Wörter. Denn was hat sie nicht alles erlebt! Mutig ist sie losgezogen, nach Australien, nach Neuseeland, nach China, nach Indonesien und Hongkong - in einer Zeit, in der das Reisen noch mehr bedurfte als die Fähigkeit, sich einen Flug zu buchen.
Umso schöner, dass jetzt dieser Gedichtband vorliegt, der ihr Sprachgefühl, ja, ihre Seele, zwischen Buchdeckel bindet, so dass wir teilhaben dürfen an den Lebensbeobachtungen, die Marume mitgebracht hat von ihren Reisen - über Meere und Kontinente hinweg: diese berührenden und nun berührbaren Flussfunde.
Christiane Neudecker
Textauszug:
Ich denke an Dich
Bei jedem Vorbeifahren
werfe ich vom Zug aus
einen Gruß über die Mauer
des Friedhofs.
Wie viele Jahre sind vergangen,
seit wir uns in deiner Stadt
zur Kastanienblüte trafen?
Für Stunden holte ich dich
aus deinen Depressionen,
öffnete dir die Augen
für die Schönheiten der Natur.
Wir wandelten am Fluss,
in dem du schwimmen lerntest.
Du lebtest auf, erzähltest von
deiner Kindheit, deiner Jugend,
deiner Ehe, deiner Arbeit.
Noch immer vermisse ich dich
und deine vielen Anrufe.
Geht es dir jetzt besser?
Flussfunde
Weite Wege durch unwegsames Gelände
legten die Ureinwohner einst zurück.
In Gebirgsflüssen
suchten sie nach Pounamu,
dem harten grünen Stein.
Sklaven schleppten das kostbare Gut,
brachen unter der Last zusammen.
Geduldig bearbeiteten Künstler die Jade
mit anderen Steinen zu wertvollem Schmuck,
zu Angelhaken und Waffen - Statussymbole
für Häuptlinge, ihre Familien und Priester.
Noch unwegsamer sind heute die Wege
zu den Fundstellen der wertvollen Jade.
Leicht ist das Ausbrechen aus dem Gestein
und der Transport mit modernen Geräten.
Künstler schneiden, schleifen und stechen
den harten Grünstein zu Schmuck und
sonstigem Zierrat für jedermann.
In verschlossenen Vitrinen warten
Exponate auf kauffreudige Touristen,
die glauben, Neuseeland davonzutragen.