Die Autorin spannt einen beziehungsreichen Bogen, der einen Lebensabschnitt der Schriftstellerin Susanne Lippmann widerspiegelt. So erfährt der Leser eine Menge über die Schriftstellerszene der DDR in den 70er Jahren, vom Literaturbetrieb und von Schaffensproblemen der Autoren. Im Mittelpunkt des Buches steht nicht so sehr der Lebensweg der Susanne Lippmann, sondern ganz stark das Beziehungsgeflecht, das die Autorin unterhält. Es geht um die Mitglieder des Schreibzirkels, um die eigene Familie, um das besondere Verhältnis zu dem Chefarzt der Psychiatrie, Johannes Hinterhofer, und zu Verena Würfel. Die Rede ist vom notwendigen Loslassen, um nicht zu verlieren, von Vertrauen, Liebe und Freundschaft, aber auch von Oberflächlichkeit und Gewalt. Die Erzählweise der Autorin ist sparsam. Umso deutlicher treten die großen Gefühle hervor. So bleibt dieser Band spannend bis zum Ende und macht neugierig auf den dritten Band.
Textauszug:
Sonntag mit Hajo
Wir waren unterwegs nach Katmannsleben. Die Kleinstadt mit den vielen Lesungserinnerungen. Verträumter Ort zwischen Wald und Heide, dort, wo die Schüler noch brav sind, die Bibliothek ein Traum ist, in der es ein kleines historisches Museum gibt und ein Hotel, das den Namen von Max Planck trägt. Beim Chinesen waren wir lange nicht. Hajo setzte sich mir gegenüber. Er posierte, als er den Fotoapparat sah.
Wir redeten über Qualitätssicherung in der Klinik. Ich fand dieses Erfassen- und Messenwollen von Qualität furchtbar. Man kann Stunden damit zubringen, Formfragen ohne Inhalte. Seitenweise Formulare ausfüllen, der Arzt findet kaum Zeit, den Patienten noch anzusehen. Hajo widersprach. Er strengte sich an, um mich zu überzeugen. Die Grenze zwischen dem Sinnvollen und der Gefahr, dass sich Formales verselbständigt und damit zuverlässiger Bestandteil der Bürokratie wird, ist hauchdünn. Hajo aber hielt daran fest. Er meinte, die aufgestellten Kriterien seinen für die Leitungsarbeit hilfreich. Na gut. Wird er ja sehen. Wenn die Hoffnung nicht aufgeht, wird er den ganzen Kram als Ballast abwerfen. Wenn er kann. Vermutlich schafft er das nicht.
Dann konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich fragte ihn nach Himmeroth aus. Er kannte meine Neugier. Darum kramte er einen Zettel aus seiner Tasche und zeichnete mir den Lageplan des Städtchens auf.
Siehst du, er schob mir den Zettel herüber und zeigte mit dem Stift auf die Stelle, die er erklärte. Die Saale, die Brücke, der Parkplatz, die Straße rechts ab, siehst du, da wohnt die Ingrid.
Er ließ sich gern über sein Heimatstädtchen ausfragen. Dass ich darüber schreibe, war nicht der Hauptgrund. Ich belebte mit meinen Fragen seine Erinnerungen.
Ich werde mich davon überzeugen, ob stimmt, was du mir erzählst, sagte ich.
Hajo sah mich an, als hätte er sich verhört.
Ich werde in dein Himmeroth fahren, verkündete ich. Dann erklärte ich ihm, dass ich aus dem Thüringer Wald den Umweg in den Harz nehmen werde.
Wann?, fragte er.
Das Wochenende vom..., ich überlegte.
Hajo nannte das Datum.
Woher weißt du das?
Er lachte. Ich bin Hellseher.
Damit kam er nicht durch. Das war zu absurd.
Das ist vermutlich mein Wochenende in Himmeroth, sagte er.
Das hebelte mich aus.
Sein Gesicht strahlte vor Freude. Reingelegt, hieß das. Na, wie habe ich das gemacht!
Dann können wir uns dort treffen?
Werden wir uns dort wohl treffen.
Wenn er meine Frage in seiner Antwort wiederholte, dann freute er sich.
Du bestreitest immer, dass es Zufälle gibt.
Ein Psychiater glaubt nicht an Zufall.
Einem Psychiater bist du nicht gewachsen, meine Liebe. Schadenfreude im Gesicht.
Das wollen wir erst mal sehen, dachte ich.
Auch Psychiater, selbst wenn sie Johannes und Verena heißen, meinetwegen verschmelze ich sie auch zu Jorena, als Inbegriff meines Psychomonsters, sind nur Menschen. Ihren Tee bereiten sie genau wie ich mit heißem Wasser zu.
Schriftstellerinnen haben immer das letzte Wort.
Das sind sie sich schuldig, sagte ich.
So forsch, wie ich tat, war ich nicht. Er sollte sich nicht einbilden, ich fahre seinetwegen los...