Ich bin durch alle fünf Erdteile gefahren, bin überall wundervollen Menschen begegnet, die gleiche Sorgen haben wie wir und doch so anders leben. Ich habe traumhafte Landschaften gesehen, Seen, Gletscher, Wasserfälle, Dschungel, Buchten, Berge, Canyons, Wüsten. Ich durfte exotische Tierwelten beobachten, völlig wild und unbegrenzt.
Das alles habe ich mir in den stürmischen Nächten der Wende in Deutschland so gewünscht und nicht zu hoffen gewagt, dass es mal so kommt. Ich bin einer der reichsten Menschen der Welt. Nicht finanziell, sondern, ich habe die Welt in mir, habe in sie hineingeschaut, hineingehört, weiß, wie sie riecht, schmeckt und sich anfühlt.
Ich habe vor, unsere wundervolle Welt weiterhin zu bereisen?
Textauszug:
Kindertraum
Es war an einem Wochenende. Ich muss sieben, acht Jahre alt gewesen sein, hatte wieder mal Bronchitis und lag im Ehebett. Vater schenkte mir ein Brettspiel. Auf dem Brett war die Landkarte Afrikas zu sehen mit all den fremden Tieren, die es dort, nur dort, gab.
Er wusste, dass mich Tiere interessierten. Ich hatte drei Bücher mit Tiermotiven. Sie waren mein Schatz.
Ich wusste, dass es in Afrika Löwen, Leoparden, Geparden gibt. Dass man dort keine Tiger, die in Asien lebten oder Pumas, die in Amerika zu Hause waren, finden konnte. Nun dieses Spiel. Es funktionierte wie "Mensch ärgere dich nicht". Gestartet wurde im Nordwesten, in Marokko. Man konnte wählen, in welche Richtung man ging. So gab es die Südrichtung entlang der Westflanke Afrikas und die Ostrichtung entlang der Mittelmeerküste.
Mein Vater sagte, als er seine Figur einsetzen durfte: "Ich gehe mal in Richtung Palästina."
Er war ein gläubiger Mensch und meinte damals wohl, er wolle in Richtung Israel gehen.
Horn von Afrika, Sansibar, das klang nach Abenteuer. Auch von Marokko und Palästina hatte ich keine Ahnung. Mich zog es zu den Elefanten. Sie waren riesengroß und hatten einen Rüssel. Kein anderes Tier faszinierte mich mehr. Die Form Afrikas erinnerte mich an einen Pferdekopf.
"Wenn ich groß bin, fahre ich nach Afrika", sagte ich überzeugt. Ein Hustenanfall unterbrach mich.
"Ja, mein Junge." Mit kühler Hand strich er mir über die heiße Stirn. "Klar fährst du zu den Elefanten." Dabei sah er nachdenklich an mir vorbei. "Erst einmal musst du wieder gesund werden."
Meine Mutter kam dazu. "Mach den Jungen nicht verrückt."
Warum ich verrückt gemacht werden sollte, wusste ich nicht. Ich fragte auch nicht danach.
Abkürzung in Australien
In Alice Springs machte ich einen Tag Pause. Dann brach ich in die Douglas Range auf. Dort ließ ich den gewaltigen Monolithen, den Uluru, stundenlang auf mich wirken.
Bevor ich am nächsten Morgen startete, guckte ich auf die Landkarte. Ich hätte über Eck zurück nach Alice Springs fahren müssen. Auf der Karte war eine Diagonalstraße eingezeichnet, die die Strecke fast halbierte. Ich beschloss, die zu nehmen. Als ich links auf diese Piste einbog, stand da ein Schild: "Only four weel drive!" Nur für Allradantrieb. Ich hatte mich entschlossen und ignorierte das Gebot. Es waren cirka 100 Kilometer auf Sandpiste. Auf dem Belag hatte ich schon einige Strecken bewältigt. Augen zu und durch. Genau achtete ich auf den Kilometerstand. Sollte ich wahrhaftig steckenbleiben, wollte ich in die kürzere Richtung der Strecke gehen, um Hilfe zu holen. Schnell kam ich auf der sandigen Buckelpiste nicht voran. Keine Kilometeranzeigen, keine Hinweisschilder, schon gar keine Rastplätze. Einige Berge erhoben sich in der Entfernung. Ich genoss das Nichts. Meine Unsicherheit konnte ich damit nicht übertünchen.
Der Blick auf den Tacho zeigte mir, wie lange ich zu bangen hatte. Endlich näherte sich die Fünfzig-Kilometermarke. Eine Hügelkuppe erhob sich. Ich nahm sie mit Schwung. Vor mir öffnete sich eine weite Fläche, die kurz hinter der Kuppe von einem trockenen Flussbett durchzogen war. Die Piste schnitt in Form der Autospuren durch den Sand des Flusslaufes. Einige Sekunden überlegte ich, was ich tun sollte. Ich entschied mich, durchzufahren. Beim Überlegen hatte ich aber den Fuß vom Gas genommen, so dass ich an Geschwindigkeit verlor. Als ich wieder Gas gab, war ich bereits im Flussbett. Einige Meter pflügte ich mich durch den tiefen Sand. Der Motor wurde lauter. Ein Zeichen, dass die Räder durchdrehten. Am höchsten Punkt der Tonleiter starb er ab. Es gab einen Ruck und ich saß fest.
Ungläubig starrte ich durch die Frontscheibe auf den gelbweißen Sand. Zwanzig Meter fehlten mir bis zum festen Ufer. Ich startete den Motor. Er heulte auf, die Räder drehten frei. Das war's.
Am liebsten hätte ich mir selbst einen Kinnhaken verpasst. Dann ging ich in mich und überlegte so kühl wie möglich, wie aus dieser nicht ungefährlichen Situation herauszukommen wäre. Ausgestiegen, sah ich den Fehler. Ich war neben die Spur gefahren in dem irrigen Glauben, dass der Sand dort mehr Oberflächenspannung aufweisen würde. Völliger Unsinn. In den Spuren war der Sand leicht verdrängt und nicht mehr so tief, somit besser zu befahren. Ich hörte Geräusche. Hoffnung auf Hilfe. Undeutliches Sprechen. Es klang nach Altmännerstimmen. Ich blickte in die Richtung. Wer weiß, in Australien gibt es an den unmöglichsten Stellen Siedlungen, vereinzelte Häuser, in denen Menschen leben. Das Flussufer war gesäumt mit knorrigen Bäumen, die zehn bis zwanzig Meter auseinanderstanden. Dahinter spannte sich das Wüstennichts. Aber ich sah keine menschenähnliche Gestalt. Die Stimmen kamen immer wieder. Sie narrten mich. Es müssen Vögel gewesen sein, die da krächzten. Ein Blick auf die Räder löschte alle Hoffnung, das Auto selbst aus dem Sand zu bekommen.
Eine Schockwelle überkam mich. Geschichten von Verirrten in Wüsten kamen mir in den Sinn, die jämmerlich umgekommen waren. Mir fielen auch glücklich Gerettete ein, die sich durch konzentrierte Leistung selbst aus der Wüstenklemme befreit hatten. Ich setzte mich und überlegte. Die Sonne stand tief. Der Tag war erledigt. Ich sah zu meinen Vorräten. Eine Scheibe trockenes Brot und der zehn Liter Kanister mit etwa sechs Litern Wasser darin. Das war alles. Ich leerte meinen Rucksack. Der Kanister passte rein. Der Blick auf den Tacho zeigte, ich hatte genau die Fünfzig-Kilometer-Marke erreicht, den Extremfall. Im schlimmsten Fall musste ich fünfzig Kilometer in praller Sonne gehen. Pro Stunde, so wusste ich, kann man bei strammem Marsch fünf Kilometer schaffen. Würde ich um 6 Uhr starten, wäre ich mit einigen Pausen um cirka 18 Uhr, noch im Hellen, am Steward Highway und spätestens da gerettet. Das wichtigste, Wasser, hatte ich auf dem Rücken. Sechs Liter. Das Stück Brot wollte ich vor dem Start essen, als kleine Stärkung. Ich nahm mein Tagebuch und beschrieb eine Querseite mit großen Buchstaben: "I'm walking in Direction Steward Highway. Please help me!" So aufgeschlagen legte ich das Heft hinter die Frontscheibe. Danach gab es nichts mehr zu tun. Ich ließ die Dunkelheit über mich kommen und schlief irgendwann unruhig ein.
Der gestellte Wecker war unnötig. Mit der Morgensonne war ich wach und bereitete mich innerlich auf den großen Marsch vor. Punkt 6 Uhr atmete ich durch und ging los. Ein komisches Gefühl. Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde. Immer wieder malte ich mir aus, wie ich von weitem die ersten Autos auf dem Highway sehen würde und meiner Rettung entgegenlief. Wichtig war das Wasser, das auf meinem Rücken plätscherte. Ich konzentrierte mich bei jedem Schritt, die Beinmuskeln zu entspannen. Sie durften nicht so bald übersäuern. In mir wuchs der sportliche Gedanke, diesen Contest erfolgreich abzuschließen. Am Weg standen nur einzelne Bäume. Die spendeten kaum Schatten. Die Sonne bekam langsam Kraft. Ich konnte spüren, wie sie anfangs nur strahlte, mir dann immer mehr einheizte. Ich ging in Nordost-Richtung. Sie schien mir halbrechts ins Gesicht. Aber mein guter Wildlederhut schützte mich. Ich war tapfer. Auf mein Glück im Auto warten, bis ein Fahrzeug vorbeikommt? Nicht mein Ding. Alles richtig gemacht, redete ich mir ein. Dann die Erlösung. Ich war eine halbe Stunde unterwegs. Motorengeräusch. "Ja", schrie ich und ballte die Faust. Weder vor noch hinter mir zeigte sich eine Staubwolke. Auch konnte ich die Richtung des Geräusches nicht ausmachen. Dann die Ernüchterung. Es war der Motor eines entfernt vorbeiziehenden Fliegers. Ich schritt kräftig aus, um die Enttäuschung zu verjagen. Jedes Muskelzucken wertete ich als Beginn eines Krampfes. Ich lockerte die Beine. Dann wieder ein Geräusch. Ich blieb stehen und lauschte. Nichts. Halluzination? Achtung, dachte ich. Jetzt fängst du an zu spinnen. Weitergehen. Immer weiter. Eine Windböe trieb eine Sandwolke auf. Staub legte sich auf meinen Schweiß, kroch mir in die Nase. Mein Rücken begann sich zu melden. Ich streckte mich, machte hinter einem dickeren Baumstamm Rast. Der Schatten tat Meinen Augen gut. Als ich Wasser trank, spürte ich, wie es den gespannten Körper belebte. Es ging weiter. Ich bemühte mich, nicht so oft auf die Uhr zu sehen. Das Eigentliche, was ein Mensch zum Leben braucht, ist nicht viel. Diese Erkenntnis blieb in mir haften. Ich hatte zu keiner Zeit in dieser Situation Angst um mein Leben. Dass ich in diesem Notfall nicht freidrehte, hat mich stark gemacht. Ein unvermittelter Blick unter meiner Hutkrempe hervor ließ mich positiv erschauern. Einige Kilometer vor mir kräuselte sich eine Staubwolke in die Höhe. Ich blieb stehen und lauschte. Sicher hatte ich in diesem Moment das Lächeln eines Siegers im Gesicht. Dann das vage, vertraute Geräusch eines Automotors. Die Wolke kam näher und bald sah ich einen SUV auf mich zufahren.
Ich war gerettet.