Der Blick auf Aleppo brach mir das Herz. Die letzten Stunden in Syrien waren mir, als ob ich sterbe, sterbe, ohne dass ich es bemerke, so betäubt war ich.
Ich glaube nicht daran, dass Politik, Religion und Krieg uns spalten.
Es geht immer nur um Macht. Ich möchte wissen, ob Gott zufrieden ist mit der Verteilung der Macht?
Basel Mouselli
Da stand ich nun mit drei jungen, kräftigen, bärtigen Arabern in unserer Wohnungstür, die nach gängigem Klischee jeden Moment über meine Frau und Tochter herfallen mussten. Sie grüßten schüchtern, zogen sich die Schuhe aus und saßen dann zunächst stumm auf unserer Wohnzimmercouch. Wir wussten eine ganze Menge Nichts voneinander.
Olaf Kirmis
Textauszug:
Die Flucht Teil 1, Basel Mouselli
Die Türkei
Die 13 Stunden auf dem Meer haben wir kaum gesprochen. Die Abschiedsszenen saßen tief in uns. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Vielleicht war ich schwach. Meinem Freund Tarek ging es wie mir. Oh Gott, wo war ich! Was machte ich! In welche Richtung fahre ich! Dafür hatte ich studiert, gearbeitet und geplant? Das konnte nicht wahr sein!
Auf dem Weg hatte mein Bruder mir gesagt, dass es immer eine Hoffnung gibt.
Als die türkische Polizei nach meinem Reisepass fragte, hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich weit weg war von Aleppo. Ich war offiziell nicht mehr der Basel, den ich gut Kannte.
Ein Freund unseres Freundes war am Hafen und wartete auf uns. Er heißt Basel wie ich. Er hat ein Auto und half uns beim Transport. Wir waren vier Personen und wir hatten viele Koffer. Zuerst haben wir in einem Restaurant gegessen. Obwohl das Restaurant ein syrisches Restaurant war, schmeckte das Essen anders - nicht wie bei uns. Mit jedem Bissen habe ich an das Essen meiner Mutter gedacht.
Mersin ist eine schöne Hafenstadt in der Türkei. Wir konnten leider nur einen Tag dort bleiben, weil wir nach Istanbul fahren mussten. Im Hotel, in Mersin, war der Chef sehr schlau. Er nutzte unsere Situation aus und nahm den doppelten Preis. Was sollten wir machen? Wir waren gezwungen, seine Bedingungen zu akzeptieren, denn kein Hotel hat uns sonst empfangen.
Am nächsten Tag hatten wir es sehr eilig, weil wir mit dem Bus nach Istanbul fahren sollten. Aber leider verpassten wir den Bus und wir mussten fast 30 Minuten mit dem Auto unseres Freunds hinterher fahren, ehe wir mit dem Bus weiterfahren konnten. Endlich hatten wir es geschafft. Das war die erste Hürde, die wir zu nehmen hatten. In den zwölf Stunden im Bus habe ich viele schöne Städte, Natur, Dörfer und friedliches Leben gesehen. Na ja, in den letzten fünf Jahren in Aleppo konnte ich nicht reisen. Ich konnte mich auch nicht weit von meiner Wohnung entfernen. Was ich jetzt sah, war mir neu. In den letzten fünf Jahren gab es keinen Strom, kein Wasser und keine Lichter mehr in Aleppo. Ich habe bei Kerzenlicht drei Jahre lang studiert. Und nun diese Bilder. So sieht Frieden aus. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Istanbul war sauber und schön und vor allem sagte mir niemand, dass ich ein Ausländer sei. Ich sehe ein bisschen aus wie sie und ihr Verhalten war in Ordnung. 15 Tage blieben wir bei dem Onkel unseres Freundes Taher.
Dort hatten wir viele Kontakte zu Freunden, die schon in Deutschland waren, und wir haben sie gefragt wie, wo und mit wem habt ihr gesprochen, damit ihr die ersten Schritte der Flucht schafft. Wir hatten eine lange Kontaktliste, um uns darüber zu informieren. Ich war überrascht, dass es viele syrische Geschäfte in Istanbul gibt.
Ja, es bedrückte mich, dass ich mein Volk so verstreut sah in allen Ländern wie Laubblätter auf den Straßen. Liegt auf unserem Volk ein Fluch oder ist das einfach unser tragisches Schicksal? Ich möchte das gerne verstehen. In welcher verfluchten Welt leben wir eigentlich? Vielleicht wache ich eines Tages auf und alles ist nur eine trügerische Erinnerung.
Izmir ist eine Küstenstadt. Von dort aus sollten wir mit dem Schlauchboot nach Griechenland fahren. Wir warteten auf einem Friedhof drei Stunden umsonst auf die Schmuggler. Es war eine sehr unangenehme Situation. Wir dachten, schlimmer kann es nicht kommen. Doch es wurde noch gefährlicher, aber wir schafften es. Mit jedem Schritt sagte ich mir, dass ich meine Familie glücklich machen muss. Ich darf nicht sterben, ich bin ihre Hoffnung.
Das Schlauchboot war kaputt und ungeeignet, aber wir hatten keine andere Möglichkeit: Entweder wir lassen uns darauf ein oder wir werden von den Schmugglern getötet. Einer der Schmuggler gab mit seiner Pistole Warnschüsse ab und zwang uns, in das Boot einzusteigen. In dieser Szene wusste ich ganz gut, was das arabische Sprichwort bedeutet: Das Schwert ist zweischneidig wie das Leben, mal für und mal gegen dich.
Die Ankunft Teil 2, Olaf Kirmis
Sie alle sind Familienmenschen und vermissen ihre Eltern in Aleppo sehr. Der Respekt vor meiner Person ist groß und ich erfahre auch, warum. Mit gut 50 Jahren ist man in ihrer Kultur ein geachteter und erfahrener Mann. Sie selbst könnten vom Alter her alle meine Kinder sein. Und das sind sie im Laufe der letzten Jahre de facto auch geworden. Irgendwann begannen sie, uns mit Mama und Baba anzusprechen. Und nun sind wir eben Mama und Baba.
Eigentlich war unsere Familienplanung bereits abgeschlossen.
Es dauert eine Weile, die gesamte Konstellation der fünf zu erfassen. Wenn ich Behörden etwas erkläre, male ich es manchmal auf. Visualisieren hilft beim Verstehen, macht aber eine Lösung auch nicht immer einfacher. Basel, Hussein und Diana sind Geschwister. Mamdouh der Ehemann von Diana. Aya hingegen ist die Ehefrau von Hussein. Hussein und Basel sind einige Monate eher nach Deutschland gekommen, haben bereits ihren Aufenthaltstitel, also ihre Anerkennung als Flüchtling, während die anderen noch im Anerkennungsverfahren sind. Als anerkannter Flüchtling ist man zunächst beim Jobcenter anhängig und von demselben abhängig. Ist man noch im laufenden Asylverfahren, bekommt man Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dafür ist das Sozialamt zuständig. Die Trennung alleine birgt schon viele Fallstricke.
Gelegentlich komme ich mir vor, als führte ich ein Doppelleben. Über den Tag auf Arbeit, in denen die Diskussionen höchst unterschiedlich sind. Danach geht es mit dem Papierkram, den Behörden, Hilfsorganisationen etc. weiter. Auf Arbeit oute ich mich zunächst nicht als Unterstützer, verheimlichen will ich es aber auch nicht, und in den Gesprächen trifft man natürlich auch auf viele hilfsbereite Kollegen.